Italien: Molise – Phänomen „Undertourism“

Es gibt sie noch, reizvolle und lohnenswerte Reiseziele in unserem Lieblings-Urlaubsland Italien, die nicht unter dem vielzitierten „Overtourism“ leiden, sondern eher unter dem Gegenteil. Die Region Molise beispielsweise. 

Hier warten zauberhafte Bergdörfer eingebettet in großartiger Natur, samt vielfältigen Kulturschätzen und reicher Geschichte auf behutsame Entdeckung per „Slow Tourism“.

Grund für die verhältnismäßige Unberührtheit mag auch die geografische Lage sein. Als zweitkleinste Region Italiens liegt Molise in der Mitte des italienischen Stiefels, eingebettet zwischen Kampanien, Abruzzen und Apulien. „Ja, wir sind ein bisschen ‚in the middle of nowhere‘“, meint Alessandra, die uns die folgenden Tage begleiten wird, „aber es ist durchaus lohnend und macht besondere Freude, die Vielfalt unserer schönen Region zu entdecken – gemütlich und individuell – ganz ohne Touristenströme!“ 

ZAUBERHAFTE BERGDÖRFER 

Erster Eindruck des Landschaftsbildes: Es grünt so grün! Und das nach einem langen Sommer, wo andernorts Dürre herrschen würde. Die Abruzzen mit Höhen bis weit über 1.000 Meter sorgen nicht nur für den imposanten Hintergrund, sondern auch für das Klima mit moderater Feuchtigkeit. Die meisten Orte und Bergdörfer in der westlichen Provinz Isernia liegen in Höhen von 500 Metern und darüber, im Winter gibt’s oft Schnee. 

Scapoli beispielsweise: Das mittelalterliche Städtchen blickt aus 600 Höhenmetern über die weite Hügellandschaft, der nahe Gebirgszug ergänzt die malerische Kulisse. Scapoli ist berühmt für die traditionelle Dudelsack-Herstellung, es gibt ein eigenes Museum über die Sackpfeife und jeweils im August ein internationales Dudelsack-Festival, erfahren wir von unserer Begleitung. Um das wunderschöne mittelalterliche Zentrum zu entdecken, bietet sich der Panorama-Rundgang Cammino di Ronda entlang der alten Dorfmauern und hübschen Kopfsteinpflaster-Gässchen, wo sich oft Plätze mit eindrucksvollen Palazzi öffnen. 

URALTE TRADITIONEN 

Eine der schönsten Städte des Alto Molise ist Agnone, schon seit frühesten Zeiten ein Zentrum der Handwerkskunst. Hier befindet sich die überaus sehenswerte Päpstliche Glockengießerei, die Familie Marinelli bereits seit 26 Generationen betreibt. Die Herstellung von Glocken aller Größen erfolgt nach überlieferter Tradition. Stolz und wortreich (in Deutsch!) erklärt Signor Antonio anhand von Modellen, mit wie viel Aufwand und Präzision so eine Glocke entsteht: „Beispielsweise die Große hier mit zwei Metern Durchmesser wiegt an die fünf Tonnen, die Herstellung braucht viel Geduld – das dauert rund ein Jahr.“ Begeistert von unserem Interesse lässt es sich Antonio nicht nehmen, uns mit einem klingenden Glockenspiel zu verabschieden, die Freude über unseren Besuch wirkt echt. 

Schon früh erlangte Agnone hohen Wohlstand, wie die wunderschönen venezianischen Gebäude, Kirchen und Palazzi im Stadtteil Ripa eindrucksvoll zeigen. Noch eine Besonderheit ist in Agnone beheimatet, die traditionelle Ndocciata, ein uraltes Kulturerbe und Ritual mit monumentalem Feuerspektakel zur Weihnachtszeit. 

„TRÜFFEL SCHNÜFFELN“ 

Unsere Route führt weiter Richtung Landesmitte, nach Campobasso, der Hauptstadt der Region Molise. „Die Gegend ist bekannt für die feinen Trüffel; hier gedeihen sie besonders gut, denn es gibt viel unberührte Landschaft“, erklärt Alessandra und führt uns zum Centro Tartufi, wo Trüffel professionell verarbeitet, und für den Export bereitet werden. Wenn man miterlebt, wie mühsam die begehrten Knollen gesammelt werden, ist zu verstehen, dass dies auch seinen Preis hat. 

Wir sind live dabei: Tartufaio Angelo Palombo pfeift nach „Zorro“, der Trüffelhund springt freudig auf und folgt schwanzwedelnd den Anweisungen seines Herrls. Nach kurzem, eifrigem Schnüffeln buddelt Zorro in der Erde und eine dicke schwarze Trüffel kommt zutage. Rund 40 Tonnen Sommertrüffel werden pro Jahr in der Region geerntet, sagt Vittorio Palombo, der smarte CEO des Familienbetriebs. Offenbar ein lukratives Geschäft: Als Firmenwagen steht ein fetter Maserati vor der Tür. 

URALTE KULTURLANDSCHAFT 

In den Gassen von Campobasso — Foto: Martha Steszl
In den Gassen von Campobasso — Foto: Martha Steszl

Die Stadt Campobasso hat antike Wurzeln, ihre Ursprünge deuten auf eine vorrömische Siedlung am Kreuzweg der „Tratturi“, der jahrtausendealten Pfade des Weideviehs, die die gesamte Region markieren. Die historische Altstadt wird vom mittelalterlichen Kastell Montfort dominiert, der großartige Rundumblick rechtfertigt den Aufstieg durch die steilen Gassen. Alessandra selbst stammt aus Campobasso und weiß viel Interessantes zu erzählen. Noch vor den Römern lebte hier das Volk der Samniten, die sich lange erfolgreich gegen die Fremdherrschaft behaupten konnten. Interessanten Einblick in dieses uralte Kulturvolk bietet das neue Museo Sannitico.

Wie viele andere Bergdörfer ist auch die Altstadt von Campobasso wenig bevölkert. „Die Jungen wandern lieber in die moderne Stadt hinab“, sagt Alessandra. Umso schöner ist es, geruhsam und ohne Verkehr durch die idyllischen Gassen zu bummeln. Historisches ist in der ganzen Umgebung zu finden, beispielsweise die sehenswerten Ausgrabungen der ehemaligen Römerstadt Sepino. Alessandra hat Archäologie studiert und ist begeistert, Zuhörer für ihr reiches Wissen zu finden. 

Wie uralt diese Kulturlandschaft im Herzen Italiens ist, veranschaulicht das Paleolithische Museum in Isernia Pineta. Die Provinzhauptstadt Isernia beeindruckt mit ihrem wunderschönen mittelalterlichen Zentrum – ein Spaziergang ist wie eine Zeitreise. Im Gegensatz zu anderen Bergdörfern herrscht hier reges Leben, Samstag ist dazu noch Markttag. Und am Abend versammelt sich Jung und Alt am zentralen Hauptplatz zum fröhlichen Gruppentanz zu traditionellen Weisen. Als Besucher ist man herzlich willkommen und wird einfach mitgerissen! 

INFOS & TIPPS 

  • Italien allgemein: www.italia.it
  • Region Molise: www.visitmolise.eu
  • Wohnen: Unterkünfte in unterschiedlichen historischen Gebäuden oder Palazzi offerieren die Alberghi Diffusi, die sich durch besonderes Flair und meist zentrale Lage auszeichnen, z.B. Palazzo della Città in Agnone, oder Borgo Tufi in Castel Del Giudice
  • Essen: In der Region Molise ist wirklich überall gut zu speisen; ausgezeichnete, lokale Küche bereitet der prämiierte Chef Stefano Rufo in seiner Locanda Belvedere
  • Anreise: Die reizvolle Region Molise ist am besten per Auto individuell zu entdecken; die nächstgelegenen Flughäfen sind Rom und Neapel. Fahrzeit Rom – Isernia: ca. 2,5 Autostunden, Neapel – Isernia: ca. 1,5 Autostunden

Autorin Martha Steszl war auf Einladung von ENIT-Italienische Zentrale für Tourismus auf Entdeckungsreise in der Region Molise