Brandenburg: Beschauliches Spektakel
Wenn Sie sich fragen: Ellbogensee, Horizon 4 – wovon schreibt dieser Herr? Glauben Sie mir, bis zum Juni dieses Jahres wäre es mir ebenso ergangen. Zur Erklärung: Der Ellbogensee ist Teil der beeindruckenden Wasserlandschaft der Mecklenburgischen Seenplatte, die sich die zwei deutschen Bundesländer Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg „teilen“, zwei Autostunden nördlich von Berlin. Und die „Horizon 4“ ist ein Hausboot.
Der Kurztrip startet in der Marina Wolfsbruch, dem größten Stützpunkt des Hausboot-Vermittlers Le Boat in Deutschland. Die Marina ist umgeben von Natur sowie einem Hotelresort mit einigen Restaurants und Shops. Die bunt zusammengewürfelte Truppe trifft sich an den beiden Booten der Klasse Horizon 4. Die Größe, Geräumigkeit und Ausstattung der Boote ringt den meisten von uns gehörigen Respekt ab. Zum Glück sind Patrick vom Tourismus-Marketing Brandenburg, der die Gegend wie seine Westentasche kennt und auch reichlich Hausboot-Erfahrung hat, sowie Anett von Le Boat, die ebenfalls schon Hausboote gesteuert hat, mit von der Partie. Die Kapitänswürden waren somit festgelegt. Auch der Rest der Gruppe teilt sich auf die Schiffe auf – ich bin im Team von Patrick, der mich mit der Vize-Kapitän-Würde betreut.
FREIHEIT OHNE FÜHRERSCHEIN
Die mehrstündige Einführung in die Vorschriften, Verhaltensweisen an Bord, Verkehrs- sowie Schleusenregeln, Geschwindigkeitsbegrenzungen, Funktionalität und Ausstattung der Boote ist verpflichtend. Sie ist aber auch äußerst hilfreich, um einen reibungslosen Urlaub an Bord genießen zu können. Im Anschluss an die Einweisung ist eine Einführungsfahrt geplant. Patrick sieht von ihr ab, denn er ist Profi im Umgang mit Booten dieser Klasse.
Die Horizon 4 bietet bis zu neun Personen Platz und verfügt über vier Kabinen – jeweils mit eigenem Badezimmer und Toilette. Sie ist 13,5m lang, 4,35m breit und ragt knapp 3m hoch aus dem Wasser (Vorsicht ist bei der Durchfahrt unter niedrigen Brücken beim Stehen am Oberdeck geboten!) – um eine Vorstellung der Größe der Schiffe zu vermitteln. Ausgestattet sind die 13 Tonnen schweren Wasserfahrzeuge mit einem Dieselmotor, der, so die Angaben, eine Geschwindigkeit von gut 6 Knoten (11 km/h) erlaubt.
Anett und ihre Crew begeben sich, begleitet von einem Instructor, auf ihre Einführungsfahrt. Das Ausparken und das Navigieren aus der engen Marina, wo die Boote dicht an dicht stehen, erscheint mir als „Mission Impossible“, aber dank der Bug- und Heckstrahlruder sind die Horizon 4-Boote ungemein wendig. Nach gut einer Stunde kehrt das Schiff samt Crew von der Probefahrt zurück, Vize- Kapitän Michel parkt das Schiff gekonnt neben unserem ein. Hilfreich sind die mehrere Zentimeter dicken, schwarzen Rammschutzleisten aus Gummi, die rund um das Schiff angebracht sind und vor nennenswerten Blessuren schützen sollen. Sie vermitteln Sicherheit bei Manövern.
DER FRÜHE VOGEL HAT VORFAHRT
Die Nacht verbringen wir – nach einem gemeinsamen Dinner im Hotelresort – an Bord, noch fest verankert in der Marina. Die Stimmung hier erinnert an die auf Campingplätzen: Jede und jeder legt sofort Hand an, wo eine benötigt wird, wildfremde Menschen grüßen und scherzen miteinander, die eine oder andere Party wird gefeiert. Kapitän Patrick gibt vor dem Schlafengehen die „Befehle“ aus: „Wir wollen früh los, um an der ersten Schleuse, die um die Ecke der Marina liegt, bei den Ersten dabei zu sein. Abfahrt ist um 7:30 Uhr morgens.“
Das Wort des Kapitäns ist an Bord von Schiffen Gesetz, darum machen wir uns pünktlich auf den Weg. Patrick steuert das Boot aus der Marina, Anett und ihre Crew folgen uns. Unsere Taktik geht auf, wir stehen noch vor 8:00 Uhr früh – also vor Betriebsbeginn – als erste Boote vor der Schleuse. Die Mecklenburger Seenplatte ist eine Ansammlung von Seen, die durch den Fluss Havel und verschiedene Kanäle miteinander verbunden sind. Die Niveau-Unterschiede der Gewässer werden mithilfe von Schleusen überwunden, die manchmal nur zwei Schiffen der Horizon-Klasse Platz bieten, oft auch mehreren.
UNERWARTETE SCHÖNHEIT
Nach dem ersten Schleusen-Manöver zeigt sich die Gegend von ihrer schönsten Seite: Die Horizon 4 gleitet langsam – in den Kanälen ist die Geschwindigkeit auf „halbe Kraft“ beschränkt – über das glatte Wasser des Hüttenkanals, in dem sich die Uferbewaldung spiegelt. Wasservögel nehmen nur am Rande Notiz von uns. Der Ruf von Hausboot-Reisen, dass sie beschaulich sind, und man dabei sehr gut „runterkommen“ kann, stellt sich als richtig heraus. Patrick steuert das Schiff sicher an den ersten entgegenkommenden Booten vorbei, hinein in den Kleinen Pälltzsee und erklärt uns dabei mit der Ruhe eines erfahrenen Seemannes die Kunst des Steuerns. Unser Ziel Fürstenberg/Havel liegt noch rund drei Stunden, einige Seen und drei weitere Schleusen entfernt.
Am Ellbogensee übergibt mir Patrick zum ersten Mal das Ruder, bleibt dabei aber an meiner Seite. Von der weicht er erst, als Regen aufzieht. Die Horizon 4 hat zwei Steuerstände, einen am Oberdeck, einen unter Deck. Die Umstellung vom oberen auf den unteren im Trockenen geht im Handumdrehen. Wir passieren den Ziernsee, den Menowsee und den Röblinsee, bevor wir Fürstenberg erreichen. An der Einfahrtsschleuse in die Stadt ist schon deutlich mehr los, wir müssen uns hinten anstellen, auch weil Segelboote und Ruderboote Vorrang haben. An diesen Engstellen kann gut und gerne mal eine Stunde Wartezeit entstehen – diese „Verzögerungen“ sollten bei der Törn-Planung eingerechnet werden. An den Schleusen ist die Stimmung ähnlich wie in der Marina: Schiffsbesatzungen plaudern mit anderen Schiffsbesatzungen; sollte es bei einem Manöver eng werden, warnt man und hilft sich gegenseitig, um den gebotenen Abstand zwischen den Booten zu bewahren.
SCHÖNE STÄDTE MIT WECHSELNDER GESCHICHTE
Die Wasserstadt Fürstenberg/Havel liegt malerisch auf drei Inseln zwischen Röblinsee, Baalensee und Schwedtsee und ist dadurch einzigartig in Deutschland. Unser Spaziergang durch die Stadt führt zur alten Burg, deren Geschichte vermutlich schon im 11. Jahrhundert ihren Ausgang nahm, zum Rathaus und der Stadtbild-prägenden Kirche. Über die Geschichte der Stadt erfahren wir, dass hier im Kalten Krieg russische Soldaten stationiert waren und sie erst im Jahr 1990, nach der Wiedervereinigung Deutschlands, Teil Brandenburgs wurde – nicht zur Freude aller in Fürstenberg/Havel. Eine Radtour ins nahegelegene Himmelpfort, wo der Weihnachtsmann eine Adresse hat und ein Postamt jedes Jahr unzählige Wunschbriefe entgegennimmt, fällt leider dem Regen zum Opfer.
SEEMANNSGLÜCK
Zurück an Bord checken wir die Wetterprognosen und -karten aller verfügbaren Online-Dienste, denn der Törn-Plan sieht eine Übernachtung mitten am Ellbogensee vor. Die Vorhersagen sind gut, wir – oder besser gesagt unsere Kapitäne – halten an dem Vorhaben fest. Am Weg zurück durch Röblinsee, Menowsee, Ziernsee und diverse Kanäle bessert sich das Wetter zusehends. Als wir unseren Ankerplatz erreichen, ist es wolkenlos. Wir verzurren die beiden Boote und beginnen in der einsetzenden Abenddämmerung mit den Vorbereitungen zum Grillen. Die Sonne verschwindet in spektakulärem Rot-Orange am Horizont hinter dem spiegelglatten Ellbogensee, als just in diesem Moment Paddler durch das Bild gleiten und es perfektionieren… aber das hatten wir schon zu Beginn! Zur Natur, dem Bier, der einzigartigen Stimmung gesellt sich Patrick mit seiner Gitarre, und so singen wir uns gemeinsam in eine sternenklare Nacht.
SPANNENDE ZWISCHENZIELE
Der Morgen steht dem Abend um Nichts nach! Dichter Nebel und die aufgehende Sonne lassen den See, die Bäume am Ufer, vorbeigleitende Schiffe mystisch erscheinen. Langsam, aber hartnäckig kämpfen sich die Sonnenstrahlen durch das Grau. Wir nutzen die Ruhe und die noch vorhandene Zeit, um gemütlich an Bord zu frühstücken, zu schwimmen und eine Runde mit dem SUP zu drehen. Nach dem schweißtreibenden Ankerlichten machen wir uns auf den Weg nach Canow (eine Schleuse, eine Stunde Fahrtzeit), wo wir im Gasthaus Canow ein regionales Mittagessen genießen, zubereitet und kredenzt von Lea Ritter und Auriel Tschaikowski. Das junge Paar hat sich vor einigen Jahren in die Region per Zufall, wie sie erzählen, verliebt, Berlin den Rücken gekehrt und das Gasthaus aufwendig renoviert.
Für uns geht es weiter mit dem Rad nach dem Ortsteil Diemitz in Mirow. Seit 2016 produziert dort Tobias Müller-Deku, ein ehemaliger Wirtschaftsanwalt, Cider. Den Apfelschaumwein stellt er auf seinem Bauernhof selbst her, zusammen mit seiner Frau Heike, einer Architektin. Beschwingt durch den erfrischenden Cider ist die Radtour zurück an Bord ein Leichtes.
In unserem Tagesziel Rheinsberg, auch rund eine Stunde Fahrtzeit und eine Schleuse entfernt, leeren wir die Abwassertanks und füllen das Frischwasser auf. Ja, auch etwas Arbeit gehört zum Bordleben. In der Stadt besichtigen wir das gleichnamige Schloss, ein prunkvoller Bau direkt am Wasser, und die Kammeroper, die für ihr hochwertiges Festival, das jungen OpernsängerInnen jedes Jahr im August eine große Bühne bietet, bekannt ist. Für seine besondere Qualität geschätzt ist auch das Restaurant Seehof, wo wir ein köstliches Abendessen genießen. Später, zurück in der Marina Rheinsberg, die mitten im Ort liegt, feiern Bootsbesatzungen einen gelungenen Tag. So auch wir – lautstark singend zu Patricks Gitarrenspiel.
DIE WELT IST EINE ANDERE
Der dritte Tag ist zugleich unser letzter. Wir brechen nach dem Frühstück an Bord auf in Richtung Zechlin. Auf dieser Etappe haben wir freie Fahrt, keine Schleuse, die uns bremsen könnte. Am Ziel angekommen, machen wir es uns in der Fischerhütte Zechlin gemütlich und genießen die frischen Fischbrötchen. Gestärkt geht es zurück zur Marina Wolfsbruch, wo wir von unserer Horizon 4 Abschied nehmen müssen. Die beschauliche Reise mit einer Geschwindigkeit von sechs Knoten führt uns erneut durch scheinbar unberührte Natur. Die Schönheit der Umgebung und die Ruhe lassen Patrick philosophieren: „Das Wasser vom Land aus betrachtet hat schon etwas, aber das Land vom Wasser aus zu sehen, öffnet uns den Blick auf eine andere Welt.“ Nachdem wir das Boot retourniert und wieder festen Boden unter den Füßen haben, blicke ich aufs Wasser der Mecklenburgischen Seenplatte und denke: „Patrick hat recht!“
KOMPAKT
Le Boat ist der größte Anbieter von Bootsferien auf Europas Wasserwegen und in Kanada mit über 50 Jahren Erfahrung und Fachwissen: über 900 Hausboote, eingeteilt in vier Komfortklassen, stehen in 17 Regionen in neun Ländern zur Auswahl.
FAHRGEBIETE
Deutschland: Mecklenburg-Seenplatte
Belgien: Flandern
Frankreich: Canal du Midi, Camargue, Elsass, Burgund, Lot, Charente, Bretagne und Aquitanien
England: Themse
Irland: Shannon und Erne
Schottland: Loch Ness und der Caledonian Canal
Niederlande: Holland und Friesland
Italien: Venetien und Friaul
Kanada: Rideau Kanal und Trent-Severn
BOOTSKLASSEN (EINIGE AUSSTATTUNGSMERKMALE)
Premiere: neueste Technologie, Designerausstattung, herausragendes Platzangebot am Oberdeck mit Grillplatte und Kühlbox, geräumiger Salon, große Fenster
Comfort Plus und Comfort: stilvolle Boote von guter Qualität (auch die Horizon 4), Griller, Landstromanschluss, Sitzkissen an Deck
Standard: schlichte, aber komfortable, praktische Ausstattung, Bettwäsche, Handtücher
ZIELGRUPPEN
Familien, Freundesgruppen, einzelne Paare: Alle Boote mit Platz für zwei bis zwölf Personen sind ohne Bootsführerschein zu steuern. Sie bieten einen geräumigen Salon, separate Schlafkabinen, Duschen mit fließend Warm- und Kaltwasser und komplett ausgestattete Küchen. Von Besteck und Geschirr bis zu Bettwäsche und Handtüchern steht alles an Bord bereit.
INFOS
Le Boat: www.leboat.at oder in jedem guten Reisebüro
Brandenburg: www.reiseland-brandenburg.de
„Pomm de Meck“: www.cidermanufaktur.de
Gasthaus Canow: gasthaus-canow.de
Kammeroper Schloss Rheinsberg: kammeroper-schloss-rheinsberg.de
Seehof in Rheinsberg: www.seehof-rheinsberg.de
Fischerhütte in Zechlin: www.fleckenzechlin.de
DER AUTOR
Dieter Putz ist für einen Binnenländer ausgesprochen Wasser-affin. Bei jeder Gelegenheit zieht es ihn ans oder aufs Meer. Seiner Premiere auf einem Hausboot stand er – ob der Beschaulichkeit der Reise – im Vorfeld mit einer gewissen Skepsis gegenüber, die sich aber vom ersten Moment an Bord in Begeisterung verwandelte: Am meisten ins Schwärmen gerät er, wenn er über die Zeit für die Naturbeobachtung und die Begegnungen am Wasser erzählt. Dieter war auf Einladung von Le Boat und Tourismus-Marketing Brandenburg auf den Gewässern der Mecklenburgischen Seenplatte unterwegs.