Albanien: im Land der Skipetaren
Nur eineinhalb Flugstunden ist die albanische Hauptstadt Tirana entfernt, doch die Entfernung zu Mitteleuropa ist augenscheinlich weit größer. „Autofahren ist hier ein Alptraum“, meint Reiseleiter Jetmir, nachdem er unsere kleine Gruppe am Mutter-Teresa-Flughafen empfangen und im Bus platziert hat. Sobald wir das Stadtgebiet verlassen haben, wird die Straße holpriger und wie zum Beweis schert ein Mercedes direkt vor unserem Bus auf die Fahrbahn. „Aber unsere Fahrer sind sowas gewohnt“, beruhigt er, „die Leute fahren auch nicht so schnell, weil die meisten Autos alt sind.“
Statussymbol Mercedes
Gemessen an der Einwohnerzahl hat Albanien die größte Dichte an Mercedes-Autos, erzählt er: „Mercedes gilt als absolutes Statussymbol – meist handelt es sich ja dabei um längst ausrangierte Fahrzeuge aus Deutschland.“ Die Orientierung in Richtung westlichem Lebensstil ist vor allem bei den jüngeren Albanern deutlich. Jetmir versteht es bestens, wissenswerte Informationen und typische Eigenheiten seines Landes auf unterhaltsame Art zu vermitteln, oft gewürzt mit augenzwinkerndem Sarkasmus.
Als Mittdreißiger hat er weniger von der kommunistischen Ära miterlebt, sondern mehr den Wandel zur Demokratie, ein Prototyp der neuen Generation. Uns beeindruckt er mit reichem Wissen und ausgezeichnetem Englisch. Viele der jüngeren Leute in Albanien sprechen Englisch oder sogar etwas Deutsch – zum Glück – denn Albanisch klingt sehr ungewohnt: Shqiperia - so heißt Albanien offiziell in der eigenständigen, indogermanischen Sprache.
Während der Fahrt von der Hauptstadt in Richtung Küste wird das Stadt/Land-Gefälle deutlich, Albanien zählt nur rund 3 Mio. Einwohner, davon lebt über 1 Mio. in der Hauptstadt. „Doch mehr als doppelt so viele Albaner leben im Ausland, die sind während der kommunistischen Zeit geflohen, aber jetzt kommen sie als Touristen wieder“, sagt Jetmir.
Dunkle Zeiten und große Vergangenheit
Über die dunklen Zeiten der kommunistischen Ära wird nicht gerne gesprochen, doch den Hinterlassenschaften der verschiedensten antiken Kulturvölker, die sich in diesem Gebiet ansiedelten, wird seit Beginn der Demokratie verstärkt Aufmerksamkeit gewidmet. Ein gutes Beispiel sind die Ausgrabungen von Apollonia, eine der bedeutendsten Städte des antiken Illyrien. Zu sehen ist die imposante Tempelfassade, ein Theater und Reste einer Säulenhalle. „Sicherlich liegt hier noch weit mehr unter diesen Hügeln“, meint Jetmir, „Initiativen für Ausgrabungen kommen aber meist aus dem Ausland.“ Zugleich ist man sehr stolz auf diese Funde, Wurzeln der eigenen Identität und Kultur: „Die Illyrer gelten als die antiken Vorfahren der Albaner und in Albanien meinen alle, mit Alexander dem Großen verwandt zu sein, denn seine Mutter stammte aus Illyrien“, schmunzelt unser Guide.
Noch bedeutender und weit beeindruckender ist das antike Butrint, seit 1995 UNESCO-Weltkulturerbe. Die weitläufige Ausgrabungsstätte zeigt zahlreiche Relikte und Monumente aus griechischer und römischer Epoche und galt damals als wichtiger Knotenpunkt an der Küste. Von der Höhe der Akropolis mit dem venezianischen Kastell eröffnet sich ein großartiger Panoramablick über die Küste und die nahe gelegene Insel Korfu.
Land der Berge und Strände
Eine Attraktion für sich ist die Fahrt entlang der Küste, zwischen Butrint ganz im Süden und dem nördlich gelegenen Vlora: Die sogenannte albanische Riviera bezaubert mit pittoresken Ausblicken auf das tiefblaue Meer und weißen Sand- und Kiesstränden zwischen schroff abfallenden Felshängen.
Einer der wenigen gut erschlossenen Badeorte ist Saranda im Süden, mit einer weiten Bucht und einer Anzahl moderner Hotels. An anderen Stränden entwickelt sich Tourismus noch langsam, kleinere Hotels und Pensionen bieten preiswerte Unterkünfte. Die Küstenstraße windet sich dann ins Landesinnere, die Strecke wird noch kurvenreicher und nicht minder spektakulär: Es sind Höhen bis über 1.000 Meter zu überwinden, eine raue, dicht begrünte Landschaft, zu Recht als Nationalpark deklariert.
Fremdherrschaft und Freiheitsdrang
Die Küstenstadt Vlora am nördlichen Ende der albanischen Adria ist nicht wirklich spektakulär, hat aber für die Bevölkerung große Bedeutung: Hier fand im Jahre 1912 die Deklaration der Unabhängigkeit Albaniens vom ottomanischen Reich statt. Diesem wichtigen Ereignis wurde ein kleines Museum gewidmet: Die Ausstellung zeigt Urkunden, Fotos und zahlreiche Bilder mit heroischen Kampfszenen. Auch ein Porträt des Nationalhelden Skanderbeg hat hier einen Ehrenplatz.
Gleichsam als Pilgerort für den Skanderbeg-Kult gilt der Gebirgsort Kruja, das Museum im markanten Festungsbau verherrlicht die Taten des Strategen. „Von hier aus besiegte Skanderbeg 1448 die Osmanen und die folgenden 25 Jahre lang konnten sich die Albaner erstmals frei fühlen und zum Christentum bekennen“, erklärt unser Guide. Geschichtlich und historisch bedeutend ist auch das Bergdorf Gjirokastra: Dass hier Langzeitdiktator Enver Hodscha geboren wurde, ist eher Nebensache, dennoch ist diesem zugute zu halten, dass er schon in den 60er Jahren den historischen Wert der wunderschönen Altstadt mit ihren einzigartigen Steinhäusern erkannt hat und damals schon als „Museumsdorf “ deklarieren ließ. Heute ist Gjirokastra sogar UNESCO-geadelt.
Moscheen, Kirchen und Tekke
„Die Religion der Albaner ist albanisch“, meint Jetmir auf die Frage nach der vorherrschenden Konfession und wir sollten bald ein Beispiel sehen: Berat, die „Stadt der 1000 Fenster“ ist nicht nur ein weiterer Höhepunkt der Reise, sondern zeigt deutlich, dass in Albanien mehrere Konfessionen gleichberechtigt koexistieren. Moscheen und prächtige Kirchen finden sich nebeneinander, ergänzend dazu die Tekke, feierliche Gebetsräume, wo spirituelle Religion gepflogen wird. „Diese religiöse Toleranz ist einmalig am Balkan“, sagt Jetmir stolz.
Während des diktatorischen Regimes galt Albanien als atheistischer Staat, viele Kirchen und Moscheen wurden zerstört. Seit im Jahre 1991 der Wandel vom Kommunismus zur Demokratie erfolgte, würden die Menschen wieder vermehrt ihre Religion ausüben. Berat ist nicht nur von einer Burgfeste gekrönt, sondern beherbergt innerhalb der massiven Burgmauern eine wunderschön erhaltene mittelalterliche Stadt, die zum Teil sogar noch bewohnt ist. Außerhalb, am Hang des Berges, reihen sich dicht gedrängt die Fassaden der weißen Häuser und vermitteln so den Eindruck von „tausend Fenstern“.
Dass Albanien seit der Wende auch touristisch sehr aufgeholt hat, beweisen die vielen schönen, privat geführten Hotels in Berat, wie beispielsweise das stylische Boutiquehotel Desaret, wo wir auch nächtigen. Während der Rückreise zeigt Jetmir auf einen Berghang, wo in riesigen Lettern NEVER geschrieben steht: „Das steht für NEVER ENVER – niemals wieder Kommunismus!“
Informationen
Redakteurin Martha Steszl war auf Einladung von GTA-Sky-Ways Ende September 2017 in Albanien unterwegs. Mit dem Titel „Im Reich des Skanderbeg“ bietet Veranstalter GTA-Sky-Ways von April bis Mai 2018 zu insgesamt sechs Terminen je 8-tägige Gruppen-Rundreisen durch Albanien mit Flügen ab Wien, Linz und Salzburg. Web: www.gta-sky-ways.at