Taiwan: Köstlichkeiten, die das Herz berühren
Bevor es ans Eingemachte geht, ein paar Begriffserklärungen. Das kantonesische „Dim Sum“, auf Mandarin „Dianxin“ ausgesprochen, meint generell, egal in welcher Ecke Chinas oder Taiwans, kleine Snacks, salzig oder süß. Die wörtliche Übersetzung lautet „das Herz berühren“. Blumig, aber berechtigt. In Hongkong spricht man von „Yamcha“, was nichts anderes heißt als „Tee trinken“. Im Lauf der Zeit hat sich „Dim Sum“ allerdings auch als Sammelbegriff für eine bestimmte Art von Speisen durchgesetzt, ähnlich wie die spanischen Tapas: Teigtaschen aus Weizen- oder Reismehl, gedämpft, frittiert, gebraten, gekocht – so gut wie immer gefüllt.
Früher wurde Dim Sum vorwiegend in Teehäusern konsumiert. Erst im Lauf der Zeit haben sich eigene Spezialitäten-Restaurants etabliert. Dort wurden alle Speisen in Dämpfkörben aus Bambus auf kleine Wägelchen gestapelt, von denen die Gäste direkt wählen konnten. Heute kreuzt man meistens die gewünschten Snacks auf einer Liste an und wartet dann voller Vorfreude, bis serviert wird. Am besten schmeckt es in Gesellschaft, in größerer. Denn nur so kann man sich durch die Speisekarte kosten.
VOM ÖLHÄNDLER ZUM GROSSUNTERNEHMER
Einer der besten Orte, um Dim Sum zu genießen, ist das taiwanische Restaurant Din Tai Feng. Streng genommen ist es nicht nur eines, auf der ganzen Insel gibt es zehn, weltweit sind es gar mehr als 170. Begonnen hat alles 1958 in Dongmen in Taipei. Yang Bingyi verdiente seinen Unterhalt in einem Geschäft, das Speiseöl verkaufte. Bald machte er sich mit einem eigenen Laden selbstständig, doch mit der Einführung von Supermärkten kauften die Menschen ihr Öl lieber dort. Yangs Einnahmequelle drohte zu versiegen. So traf es sich gut, dass der junge Familienvater einen alten Veteranen aus Nordchina als Nachbar hatte, der Xiaolongbao, mit Schweinefleisch und Suppe gefüllte Teigtaschen, herstellte. Yang schlug ihm vor, seine Häppchen im vorderen Bereich des alten Ölladens anzubieten. Schon bald war die Nachfrage so groß, dass ab 1972 das ganze Lokal als Restaurant genutzt wurde. Heute – das Unternehmen wird inzwischen von der dritten Generation geführt – gibt es an dem alten Standort in der Xinyi-Straße nur noch Take-away.
ACHTUNG, HEISS!
Eines der populärsten Din Tai Feng-Restaurants in Taiwan ist das am Fuße des Taipei 101. Hinter riesigen Glasscheiben arbeitet eine Armada an Köchen. Einer knetet, einer formt den Teig zu Rollen, ein anderer schneidet sie in Stücke, der nächste walkt sie zu hauchdünnen Plättchen aus, wieder ein anderer befüllt sie und verschließt sie. Bei Xiaolongbao müssen es immer 18 Falten sein, ähnlich wie die „Krendeln“ bei den Kärntner Kasnudeln. Das sei die beste Version, damit sich die Tunke aus Sojasauce, Essig und Ingwer, in die die Taschen getaucht werden, am besten verteilen kann, heißt es. Ursprünglich waren es nur 17, doch da in der chinesischen Vorstellung gerade Zahlen günstiger sind als ungerade, wurde auf 18 erhöht.
Kenner wissen, dass Xiaolongbao eine vorsichtige Annäherung brauchen: Die Suppe in den Tascherln ist nämlich kochend heiß. Da hilft es, einen Löffel drunter zu halten und mit den Stäbchen ein Loch zu bohren, durch das der Fleischsaft abfließen – und abkühlen – kann.
EINMAL DURCH DIE SPEISKARTE
Unbedingt dazu gehören – neben Xiaolongbao in traditioneller Art auch modern interpretierte mit Trüffel und Schweinefleisch – die kompakten Shaomai, nach oben offene Teighäppchen, meistens mit Schweinefleisch, Krabben und Frühlingszwiebeln. Fluffige Baozi, gedämpfte Knödel aus Germteig, gefüllt mit Schweine-, Rind- oder Lammfleisch, als Dessert auch mit roter Bohnenpaste. Glitschige Wantan in scharfer Sauce oder, als knusprige Variante, frittiert. Gedämpfte Jiaozi mit Fleisch, Fisch oder Gemüse. Knackige Pot Stickers („Pfannenkleber“), längliche Teigtaschen mit Füllungen aller Art. Resche Frühlingsrollen und gebratener Rübenkuchen (Luobogao), Reis-Porridge mit Hummer oder Tausendjährigem Ei. Und – für Abenteuerlustige – Phönixkrallen, gebratene Hühnerfüße.
Als süßen Abschluss empfehlen sich wieder Xiaolongbao, diesmal mit flüssiger Schokolade, mit Motchi oder Taropaste. Dazu trinkt man klassisch Tee. In China oft Jupu, eine Mischung aus Chrysanthemen- und Pu-er Tee (der mit erdigem Aroma). In Taiwan sollte man den Oolong vom Alishan verkosten, ein nur leicht fermentierter, grüner Tee.
SCHWARZ ODER GRÜN?
Auf mehr als 1.200 Metern Seehöhe liegen die besten Tee-Anbaugebiete Taiwans, nahe der Provinzstadt Jiayi, am Alishan. Das Verhältnis von Sonnenlicht, Temperatur und Feuchtigkeit bietet die optimale Voraussetzung für aromenreichen Tee, von dem in Taiwan jährlich rd. 14.000 Tonnen produziert werden.
Einen guten Einblick in den Herstellungsprozess – Interessierte können selbst Hand anlegen – gibt die Shengli Farm in Xiding am Alishan. Besitzer Huang Changhao erntet auf seinen 20 ha in vier Pflückungen rd. 20 Tonnen pro Jahr. Frühling- und Winter-Tees sind die besten und daher teurer, erklärt er. Egal, ob grüner, weißer, schwarzer, Oolong oder Pu-er Tee, die Pflanze ist immer dieselbe, Camellia Sinensis, eine Kamelien-Art. Erst der Grad der Fermentation macht den Unterschied.
DEM ZUFALL SEI DANK
Entdeckt wurde Tee, der Legende nach, durch einen Zufall. Dem ersten Kaiser des alten Chinas, Shennong, sollen 2437 v. Chr. Teeblätter in seine Tasse mit heißem Wasser gefallen sein – die Geburtsstunde eines neuen Getränks. Als Pflückerinnen werden vorwiegend Frauen eingesetzt, da sie kleinere Hände haben und liebevoller mit den Pflanzen umgehen, erzählt Huang. Geerntet werden nur die obersten Knospen und zwei Blätter, pro Tag durchschnittlich 50 bis 60 kg. Als nächster Schritt werden die Blätter der Größe nach sortiert. Nach dem Welken, bei dem die Feuchtigkeit entzogen wird, werden sie gerollt. Dadurch wird die Blattstruktur aufgebrochen und das Aroma bleibt erhalten. Dann folgt die Fermentation, bei der der Saft der Zellen mit dem Sauerstoff oxidiert. Bei Grüntee wird dieser Prozess sehr schnell gestoppt, bei Schwarztee dauert er deutlich länger. Durch das anschließende Trocknen wird die Fermentation gestoppt. Seinen Oolong lässt Huang Changhao an der Sonne oxidieren. Das Ergebnis sind die besten Tees dieser Sorte. Den Geschmack bestimmen Alter der Pflanzen, Höhenlage, Bodenbeschaffenheit, Sonne und Wasser. Für den in Taiwan kreierten „Bubble Tea“, gesüßter Tee mit Tapioka-Kügelchen, wird preisgünstiger Import-Tee verwendet. Aber das ist eine andere Geschichte.
Informationen zu Taiwan: Taiwan Tourismusbüro www.taiwantourismus.de
Flüge nach Taiwan: z. B. mit EVA Air ab Wien nach Taipeh, www.evaair.com
Zur Autorin
reisetipps-Herausgeberin Elo Resch-Pilcik lebte im vorigen Jahrhundert vier Jahre in Taiwan. Für sie gibt es kaum eine schönere Art des gemeinsamen Verkostens als bei Dim Sum. Die bekennende Teetrinkerin schwört auf ihre tägliche Dosis Oolong, am liebsten vom Alishan.