Essen / Ruhrgebiet: Von Grau zu Grün

Ältere Generationen haben bei „Ruhrgebiet“ wohl immer noch vorwiegend die riesigen Zechen zum Abbau von Kohle, Stahl und Eisen vor Augen, eine Industrielandschaft, wo eine Stadt in die nächste übergeht, alles Grau in Grau. Eine Vorstellung, die heute eindeutig von gestern ist. Ab Ende der 1960er wurden die Werke der Reihe nach stillgelegt wurden – der Import aus Übersee war billiger als der Abbau vor Ort. Der Rückbau der Industrieanlagen wäre zu kostenintensiv gewesen, daher wurden die Zechen umfunktioniert zu Freizeit-, Event- oder Kulturzentren. Biologisch tote Flüsse wie die Emscher wurden renaturiert, an ihren Ufern Rad- und Spazierwege angelegt, die Aushub-Hügel der Bergwerke mit Kunstwerken versehen. Das Gebiet im Süden der Stadt, die Hügel auf beiden Seiten der Ruhr, war seit jeher ein beliebtes Ausflugsziel.

Verbesserung des öffentlichen Geschmacks

Unbestritten der kulturelle Trumpf Essens ist das Museum Folkwang, das auf der Sammlung des Bankierssohns Karl Ernst Osthaus basiert. Dieser hatte 1898 ein Museum in Hagen mit seiner privaten Sammlung errichtet. Nach seinem Tod wurden die Werke vom Museum Essen aufgekauft, der Name „Folkwang“, der auf die altnordischen Mythen der Edda zurückgeht und „Volkshalle“ bedeutet, wurde beibehalten. Seit 2015 ist der Eintritt frei, was der Motivation Osthaus‘ zur Gründung seines Museums, „zur Verbesserung des öffentlichen Geschmacks beizutragen“, entspricht.

2020 wurde das Museum Folkwang, das zu den bedeutendsten Europas zählt, von deutschen Kunstkritikern zum „Museum des Jahres“ gewählt. Spannend ist die Hängung der Werke von Impressionisten, Expressionisten, Surrealisten und zeitgenössischen KünstlerInnen, die thematisch und nicht chronologisch ausgerichtet ist. Alle großen Namen sind hier vertreten: Renoir, Manet, Gauguin, van Gogh, Cézanne, Monet, Liebermann, Kirchner, Rodin, Picasso, Ernst, Beckmann, Chagall, Dalí – und viele mehr. Bis auf wenige Zentimeter kann man sich hier diesen großen Meisterwerken nähern. Und noch etwas fällt positiv auf: Alle Ausstellungsrücke, bei denen die Restitutionsfrage ein Thema sein könnte, sind mit einem Vermerk des aktuellen Stands der Provenienz-Forschung versehen. Vorbildlich.

Stadtwanderwege

Knapp 90km ausgeschilderte Pfade umfassen die drei Stadtrundwanderwege, von denen zwei im Süden der Stadt durch teilweise unberührte Natur führen. Der BaldeneySteig erstreckt sich über 27km rund um den Baldeneysee, der vor knapp 90 Jahren durch Aufstauen der Ruhr angelegt wurde. Heute ist der künstliche See ein Wassersportparadies für Kanuten, Ruderer und Segler. Der Wanderweg führt größtenteils die Hügel entlang, vorbei an der „Villa Hügel“, dem Sitz der Familie Krupp, und verspricht einen wunderbaren Ausblick auf das Ruhrtal.

Auch auf dem 35km langen Kettwiger PanormaSteig kommen Aktive in den Genuss herrlicher Aussicht auf den Fluss. Die Pfade führen über Hügel, durch Mischwälder und teilweise durch Vorstadtsiedlungen. Beide Steige werden als „mittel bis schwierig“ klassifiziert und erfordern gute Kondition. Nur einzelne Abschnitte sind familientauglich. Die Einstiegspunkte sind gut mit öffentlichem Verkehr erreichbar.

Das gilt auch für den ZollvereinSteig, der im Norden der Stadt auf 27km durch ehemaliges Bergbau-Gebiet, über einen ausgedehnten Friedhof und durch Schrebergärten-Siedlungen führt. Der Kontrast von üppig grüner Natur und grauen, unfruchtbaren Schlacke-Hügeln könnte nicht größer sein. Die Kuppen dieser Erhebungen wurden mit modernen Kunstwerken verziert. Von der Schurenbachhalde, mit 350m die höchste, bietet sich ein imposanter, 360-Grad-Rundblick auf das Ruhrgebiet, bis hin zur Veltins-Arena, dem Heimstadion von Schalke 04.

Industriekultur

Die Zeche Zollverein, das Wahrzeichen der Region, ist das einzige UNESCO-Weltkulturerbe des Ruhrgebiets. Heute ist sie ein Kultur- und Eventzentrum mit dem Red Dot Designmuseum, einem Besucherzentrum mit orange beleuchteter, freistehender Rolltreppe, einem Tanzzentrum, einem Schwimmbad, das im Winter als Eislaufplatz genutzt wird, sowie einigen Firmenniederlassungen.

Ein weiteres Beispiel für die Nachnutzung einer Industrieanlage ist der Landschaftspark Duisburg. Rund um das ehemalige Eisenwerk wurde ein Park angelegt, zahlreiche Veranstaltungsräume eingerichtet sowie ein Klettergelände des Deutschen Alpenvereins. Abends taucht eine Lichtinstallation die derbe Architektur in märchenhafte Farben. Ein weiterer, faszinierender Kontrast.

Noch bis 26. November zu sehen ist im Gasometer Oberhausen die großartige Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“. Eindrucksvolle Fotografien zeigen den Einfluss des Menschen auf die Natur und den bedenklichen Zustand der Erde. Highlight ist im 100m hohen Luftraum des Gasometers eine 20m große Erdkugel, auf die hochaufgelöste Satellitenbilder projiziert werden. Aus dem gläsernen Lift, der zur Aussichtsterrasse führt, hat man das Gefühl, aus einem Raumschiff auf den Planeten zu blicken.

KOMPAKT

Anreise: per Flug ab Wien nach Düsseldorf, weiter per Bahn in ca. 20 Min. nach Essen. Oder per Bahn ab Wien mit einmal Umsteigen, in ca. 9:20 Stunden

Highlights

  • Domschatz: mit Goldener Madonna, der ältesten erhaltenen, vollplastischen Mariendarstellung im Abendland, entstanden um ca. 980
  • Museum Folkwang: atemberaubende Sammlung aller KünstlerInnen von Rang und Namen, bei freiem Eintritt! 
  • Alte Synagoge: heute Haus der jüdischen Kultur
  • Essen 1887: Mixed-Reality-Zeitreise, mit VR-Brille durch die Stadt
  • Villa Hügel: Sitz der Familie Krupp Bohlen-Halbach. Imposante Villa mit 269 Räumen, errichtet 1870, Garten nach dem Vorbild von Schloss Versailles
  • Veltins Arena: Heimstadion von FC Schalke 04 in Gelsenkirchen
  • Baldeney See: der größte von sechs Ruhrstauseen im Süden Essens
  • Zeche Zollverein: UNESCO-Welterbe, Wahrzeichen der Region
  • Gasometer Oberhausen: Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“, verlängert bis 26. November 2023
  • Landschaftspark Duisburg: Die Natur erobert sich das stillgelegte Eisenwerk langsam zurück

Die Einladung zur Reise erfolgte von Visit Essen und der Deutschen Zentrale für Tourismus; www.visitessen.de, www.germany.travel